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Digitalisierungsprinzipien oder Digitalisierungsstrategie?

Von Clausewitz hin, von Clausewitz her, in der betriebswirtschaftlichen Theorie sowie in der Unternehmenspraxis wird der Strategiebegriff sehr unterschiedlich ausgelegt und angewandt. Dennoch scheint Einigkeit darüber zu herrschen, dass die Strategie Regeln definiert, wie die mittel- und langfristigen, aus dem Unternehmenszweck abgeleiteten, Ziele erreicht werden sollen.

In welchen Schritten die Strategie in einem meist drei bis fünf Jahre umfassenden Zeitraum umgesetzt werden soll, geht aus dem strategischen Plan und den daraus abgeleiteten Aufgaben und Maßnahmen hervor.

Digitalisierung ist dabei einerseits Mittel zum Zweck, andererseits aber auch Enabler für die Strategie. Soll heißen: Digitalisierung kann dabei helfen, gegebene Ziele effizienter und effektiver zu erreichen. Sie schafft aber auch Optionen für mehr oder minder disruptive Geschäftssysteme.

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Abbildung 1 

Eine eigene Strategie braucht Digitalisierung unseres Erachtens nicht, vielmehr ist die vollständige Integration der Digitalisierungsaktivitäten in die eine, übergreifende Unternehmensstrategie ein entscheidender Erfolgsfaktor. Das verhindert vor allem, dass Digitalisierung um der Digitalisierung willen erfolgt und der Return on Digitalization aus Unternehmenssicht unbefriedigend ist. Hinzu kommt, dass mangelnde Integration die Gefahr von Paralleluniversen mit anderen Werten, Regeln und Zielen birgt, die ein bestehendes Unternehmen durchaus in zwei sich gegenseitig misstrauisch beäugende Lager teilen kann. Das kann gewollt sein, muss es aber nicht, zumal es hervorragende Beispiele für die Integration gibt.

Als Bindeglied zwischen der Unternehmensstrategie und den Digitalisierungsaktivitäten helfen beispielsweise Prinzipien. Solche Prinzipien legen fest, worauf bei der Digitalisierung zu achten ist, damit diese einen optimalen Wertbeitrag für das gesamte Unternehmen leistet, ohne zu enge Vorgaben zu geben und den Raum für neue, durch die Digitalisierung getriebene Strategieoptionen zu nehmen.

Im Folgenden ein Set von zehn Digitalisierungsprinzipien, die allesamt darauf abzielen, den Return on Digitalization zu sichern:

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Abbildung 2

Die Prinzipien haben keine Reihenfolge und je nach Unternehmen und Unternehmensstrategie auch eine andere Gewichtung. Es lohnt sich aber in jedem Fall, über jedes dieser Prinzipien einmal nachzudenken.

1. IN KUNDENPROZESSE INTEGRIEREN

Die Grundidee dieses Prinzips folgt der Tatsache, dass Kunden den Wert von Produkten oder Dienstleistungen daran bemessen, wie gut diese Produkte oder Dienstleistungen helfen, eigene Aufgaben zu erledigen oder Ziele zu erreichen. Nun mag es sein, dass ich als Kunde genau weiß, was mir am besten bei der Erreichung meiner Ziele hilft. Das ist aber nicht unbedingt der Fall. Henry Ford hat das angeblich – lange vor der Digitalisierung – sehr plastisch zum Ausdruck gebracht: Wenn ich die Menschen gefragt hätte, was sie wollen, hätten sie schnellere Pferde geantwortet.

Die Aussage lässt sich ohne weiteres in die heutige Zeit übertragen. Aber auch wenn der Gedanke selbst nicht neu ist, so sind die zahlreichen, sehr wirkungsvollen Möglichkeiten von Unternehmen neu, mit denen sie die wahren Kundenbedürfnisse erkennen können. So „weiß“ mein Smartphone womöglich mehr über mich und über das, was ich morgen brauchen könnte, als ich selbst. Und das alles nur, weil mein Smartphone mich tagtäglich begleitet, Daten sammelt, statistisch signifikante Muster erkennt und zumindest das Potenzial hat, meine Reaktionen auf Veränderungen, beispielsweise auf Preisschwankungen oder Wetterveränderungen, zu prognostizieren.

2. CONVENIENCE FÜR KUNDEN UND MITARBEITER ERHÖHEN

Digitalisierung ist umso erfolgreicher, je größer der Nutzen für die Beteiligten und Betroffenen. Dabei muss es selbstverständlich nicht um Convenience, sprich Bequemlichkeit gehen, aber da Digitalisierung in vielen Fällen manuelle Tätigkeiten ersetzt, liegt es nahe, daraus einen Mehrwert für die Beteiligten und Betroffenen zu machen. Und der Wunsch nach Entlastung ist ja auch weit verbreitet, nicht zuletzt getrieben durch Kostensenkungsprogramme der Vergangenheit, die an vielen Stellen und insbesondere bei den Leistungsträgern zu Leistungsverdichtung geführt haben.

Ein besserer Workflow, weniger Klicks, weniger Fehlermöglichkeiten, Automatisierung von lästigen Standardtätigkeiten, all das sind Beispiele, wie Digitalisierung Convenience bei Mitarbeitern, aber auch bei Kunden schaffen kann. Bequemlichkeit wird vielfach honoriert, selbst unter Verzicht auf Datenschutz. An Cookies haben wir uns schon gewöhnt, die Standorterkennung auf dem Smartphone ist weit verbreitet und die automatische Daten- und Passworteingabe ist bei den meisten Nutzern kein Thema mehr. 

Allerdings kann Digitalisierung – die neuen Vorschriften für einen sichereren Zahlungsverkehr sind ein Beispiel hierfür –auch zu Mehraufwand führen. 

Soll heißen: Achten Sie darauf, dass Digitalisierung das Leben einfacher macht, denn das schafft Akzeptanz!

3. KUNDENNUTZEN AUS KUNDENDATEN GENERIEREN

Trotz steigender Sensibilität in Sachen Datenschutz ist die Bereitschaft nach wie vor sehr hoch, persönliche Daten preiszugeben. Zumindest, wenn dies einen Mehrwert verspricht. Der kann, um nur einige Beispiele zu nennen, etwas mit Bequemlichkeit, aber auch mit Geschwindigkeit oder schlicht und einfach der Berechtigung zu tun haben, auf bestimmte Dienste zugreifen zu können.

Gratis sind solche Vorteile nicht, sie werden ja mit Daten bezahlt. Und der Charme davon ist, dass persönliche Daten im Prinzip beliebig oft als Zahlungsmittelersatz eingesetzt werden können. 

These: Wenn der (Netto-)Nutzen stimmt, zahlen Menschen den Preis dafür, gegebenenfalls auch in Form von Daten. Umgekehrt heißt das für Unternehmen, dass sie, wenn sie Daten haben möchten, einen wie auch immer gearteten und vom Kunden wahrgenommenen (!) Mehrwert liefern müssen.

4. UNTERNEHMENSNUTZEN AUS DATEN GENERIEREN

Dieses Prinzip ist dem vorangegangenen Prinzip sehr ähnlich. Dennoch gibt es einen großen, oftmals historisch gewachsenen Unterschied: Unternehmen nutzen Daten oftmals nicht, selbst dann nicht, wenn es selbst generierte Daten sind, beispielsweise aus der Produktion. Nichtnutzung hat also nicht immer mit der Datenschutz-Grundverordnung DSGVO zu tun. 

Oft fehlt es einfach nur am Wissen, welche Daten in den Prozessen und Systemen generiert werden und wie diese ausgelesen und genutzt werden können. Das muss nicht sein. Process Mining und Business Intelligence Tools gewinnen bei zunehmender Digitalisierung der Prozesse an Schlagkraft. Die Anzahl der Datenpunkte steigt mit der Automatisierung und vor allem auch mit der Vernetzung unterschiedlicher Systeme. Egal, ob es Smartphones sind, die zum Monitoring oder zur Steuerung genutzt werden oder Sensoren, die an unterschiedlichsten Stellen im Prozess Daten erfassen.

Neben der Verfügbarkeit von Daten gibt es jedoch einen ganz entscheidenden Faktor, der zunächst einmal gar nichts mit Digitalisierung an sich zu tun hat: am Ende müssen aus Daten relevante Informationen werden, die ihrerseits zu Handlungen oder zumindest Handlungsempfehlungen werden. Das setzt neben Kenntnissen der deskriptiven und der induktiven Statistik vor allem auch ein Prozess- und Businessverständnis voraus. Das ist einfacher gesagt, als getan, denn Statistik ist oftmals ein Feld, in dem sich Spezialisten tummeln, die eine andere Sprache sprechen, als das Management. Hier sind dann Übersetzer gefragt, Mittler zwischen den Welten. Ansonsten gilt, dass Daten auch gute Daten sein müssen, was zum nächsten Digitalisierungsprinzip führt:

5. DATENQUALITÄT MANAGEN

Die Aussage, viele Daten seien für eine statistische Analyse besser als wenige Daten, ist leider nicht immer zutreffend. Aus der Statistik wissen wir, wie groß eine Datenmenge sein muss, um der Datenqualität entsprechende, repräsentative Rückschlüsse auf die Realität ziehen zu können. So weit, so gut. Entscheidend und intuitiv nachvollziehbar ist bei der obigen Formulierung die Einschränkung „der Datenqualität entsprechende“. Dennoch passiert es allzu oft, dass diese Einschränkung, die ja den Charakter eines Spielverderbers hat, in der Kommunikation verloren geht. Und das kann, wenn es zu Fehlentscheidungen führt, teuer werden.

Aber was macht gute Daten aus? Über diese Frage wurden zahlreiche Artikel und Bücher geschrieben und es würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen, hier tiefer einzusteigen. Dennoch an dieser Stelle eine unseres Erachtens hervorragende Orientierungshilfe1:

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Tabelle 1

Und da es mit der Festlegung von Qualitätskriterien allein nicht getan ist, gilt es, die Einhaltung dieser Kriterien zu managen. 

6. DIGITALISIERUNG IN UNTERNEHMENSSTRATEGIE INTEGRIEREN

Dieses Prinzip soll sicherstellen, dass Digitalisierung nicht als Selbstzweck, sondern als Mittel zum Zweck gesehen und gemanagt wird. Die Überlegungen dazu wurden bereits eingangs erläutert.

7. DIGITAL-KOMPETENZ BREIT STREUEN

Das siebte Prinzip ist eng mit dem sechsten Prinzip verknüpft und basiert auf der Hypothese, dass Digitalisierung am Ende alle etwas angeht und jeder davon in der ein oder anderen Form betroffen sein wird. Sei es beruflich oder privat, aktiv oder passiv. Wenn nun Digitalisierung in einem Unternehmen Einzug halten oder auch nur stärker genutzt werden soll, ist die Akzeptanz der Digitalisierung bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein entscheidender Erfolgsfaktor. Und das Wissen um die Digitalisierung dürfte die Akzeptanz fördern. Sei es auch nur, weil Wissen mündig macht und übertriebenen Ängsten den Nährboden entzieht.

Nichtsdestotrotz mag der temporäre Verstoß gegen dieses Prinzip klug sein. Beispielsweise dann, wenn es darum geht, in möglichst kurzer Zeit Digitalisierungs-Know how aufzubauen und Erfahrungen zu sammeln. Viele Unternehmen gründen dafür rechtlich eigenständige Einheiten, die mit einem attraktiven Startup Flair Digitalisierungsexperten locken und Raum für Experimente geben. Nach einer gewissen Anfangseuphorie stellt sich jedoch die Frage, wie die Kernorganisation von dem Wissen und Können der „Garage“ nachhaltig profitieren kann. Außerdem gilt es, den kaum vermeidbaren oder auch gewollten internen Wettbewerb zwischen der Kernorganisation und der Garage konstruktiv zu nutzen. Beides, der effiziente und effektive Know how-Transfer einerseits und das konstruktive Miteinander von Alt und Neu andererseits, sind nicht zu unterschätzende und in vielen Unternehmen auch noch ungelöste Herausforderungen. Unsere Empfehlung: Bereiten Sie den Weg für die spätere Reintegration solcher „Garagen“ bereits von Anbeginn an vor. Die Reintegration entscheidet maßgeblich über den Return on Digitalization. 

8. MINDSET UND VERHALTEN ZEITGLEICH MIT PROZESSEN UND SYSTEMEN ENTWICKELN

Was nützt ein digitaler Prozess, wenn er nicht genutzt wird? Nutzen kommt nun einmal von Nutzung und Nutzung setzt neben dem Können vor allem auch den Willen und die Berechtigung zur Nutzung voraus. Das hat zunächst einmal nichts mit Digitalisierung zu tun, sondern schlicht und einfach mit Veränderung. Das Neue muss für die Anwender sinnvoll sein, was nicht unbedingt Eigennutz bedeutet. Wer Neues nutzt, muss den Umgang damit auch lernen und Lernen geht oft mit anfänglichen Fehlern oder einem temporären Performanceverlust einher. Hoher Erwartungsdruck seitens des Managements, dass sich mit der Einführung beispielsweise eines digitalen Prozesses gleich alles zum Besseren entwickelt, ist meist kontraproduktiv und auch nicht realistisch. Um zu sicht- und messbaren Verbesserungen zu kommen, braucht es einfach Zeit, die nicht beliebig verkürzt werden kann. Soll heißen: wer frühzeitig Ergebnisse sehen möchte, der sollte auch frühzeitig mit dem Veränderungsprozess beginnen.

Positiver Nebeneffekt: Menschen, die rechtzeitig in die Problemanalyse, in die Entwicklung von Lösungen und in die Implementierungsplanung eingebunden werden, können ihr Wissen und ihre Erfahrungen einbringen und wahrscheinlich auch zu besseren Ergebnissen beitragen.

9. KURZE TEST- UND LERNZYKLEN ETABLIEREN

Das Wesen der Digitalisierung ist unter anderem die Geschwindigkeit, in der sich Technologien, aber auch das Nutzerverhalten beziehungsweise die Nutzeranforderungen ändern. Die Folge der, aber auch die Antwort auf die Schnelllebigkeit sind unter anderem kurze Produktlebens- und -Entwicklungszyklen. Das wiederum erfordert andere Innovationsansätze. Anstelle der sorgfältigen und teilweise sehr lange dauernden Forschungs- und Entwicklungsarbeit wird zunehmend Mut zum frühzeitigen Ausprobieren gefordert. Die Idee dahinter ist, dass schnelles Scheitern auch zu schnellem Lernen und Anpassen führt. Die klassische Wasserfallplanung und Business Cases, die einen Return on Investment erst nach fünf oder mehr Jahren vorsehen, sind vielfach keine Option mehr.

Worauf es bei den kurzen Test- und Lernzyklen besonders ankommt, ist die Bereitschaft, potenziellen Kunden lösungsoffen zuzuhören oder deren Verhalten unvoreingenommen zu beobachten. Ziel ist nicht die Bestätigung der eigenen Meinung, sondern die Suche nach neuen Erkenntnissen. Das wiederum fordert die Bereitschaft, sich auf Kundenprozesse einzulassen, wahre Bedürfnisse zu erkennen und sich gegebenenfalls auch von lieb gewonnenen Ideen zu trennen. Ganz im Sinne des ersten Digitalisierungs-Prinzips. Und das geht umso leichter, je früher Ideen getestet werden und je preiswerter der Prototyp ist.

10. AGILITÄT VON VOLATILITÄT UNTERSCHEIDEN

Das letzte Digitalisierungs-Prinzip ist die Antwort auf eine Beobachtung, die wir immer wieder machen: Agilität wird mit Volatilität verwechselt. Was ist der wesentliche Unterschied? Volatilität ist ein Maß für Unbeständigkeit. Agiles Verhalten hingegen soll in einem volatilen Umfeld die Erreichung eines gegebenen Ziels ermöglichen. Worauf es bei der Agilität ankommt, ist die Fähigkeit, schnell auf Veränderungen aller Art zu reagieren, ohne dabei das ursprüngliche Ziel aus den Augen zu verlieren. Agilität ist eine organisationale Fähigkeit, die nicht nur auf dem Wollen basiert. Agilität erfordert – neben lösungsoffenen Zielen – auch das Können und vor allem das Dürfen. Die Bereitschaft und der Mut des Managements oder der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, agil zu handeln, ist von zentraler Bedeutung, jedoch bedarf es auch entsprechender individueller Skills, passender Werte und Paradigmen sowie agiles Verhalten unterstützende Prozesse und Strukturen. 

Soweit die zehn Digitalisierungsprinzipien. Das Gute daran ist, dass sie – ähnlich wie unsere Excellence-Prinzipien – Muster aufzeigen, die sowohl beim Design von Digitalisierungsaktivitäten berücksichtigt als auch bei der Bewertung bestehender Digitalisierungsaktivitäten genutzt werden können. 


1 Vgl. HUANG et al., Quality Information and Knowledge, Prentice Hall, Upper Saddle River, NJ 1999, S. 43.